Anne Ackermann

Behind Veils and Walls

In Ugandas Hauptstadt hat sich eine somalische Parallelwelt etabliert. Für viele junge Frauen ist Kampala eine wichtige Zwischenstation auf der Suche nach einer besseren Zukunft.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten voller Chaos, Konflikt und Gewalt leben mittlerweile über 1,5 Millionen Somalier auf der ganzen Welt verteilt, die meisten von ihnen sind in anderen afrikanischen Ländern gestrandet. Als funktionierender Staat und sichere Heimat hat ihr Herkunftsland für diese Menschen aufgehört zu existieren. Vielmehr hat sich eine eigene somalische Kultur innerhalb der weltweiten Diaspora entwickelt. Für die Geflüchteten, die den Kontinent verlassen wollen und auf ein besseres Leben in den USA oder Europa hoffen, ist alles vergänglich.

Am Rande der geschäftigen und pulsierenden Innenstadt von Kampala liegt Kisenyi. Die kleine Ansammlung von rau wirkenden, staubigen Straßen mit ihren kleinen Geschäften und fliegenden Händlern ist die Heimat tausender Somalier in Uganda.

Willkommen in „Little Mogadishu“.

Bishara, hat mit 14 Jahren zum ersten Mal geheiratet. doch die Ehe mit einem reichen Somalier aus Skandinavien scheiterte. "Ich werde nie wieder wegen Geld heiraten", sagt die 20-Jährige.
Das frisch zubereitete Injera, ein typisches Gericht aus Somalia, erinnert die somalischen Geflüchteten in Kisenyi an ihre Herkunft.
Bishara macht sich zum Ausgehen fertig, auf dem anderen Bett sitzt ihre jüngere Schwester Amal. Sie wohnen mit ihrer Mutter, Tanten und zwei weiteren Schwestern in dem kleinen Zimmer. Aufgrund den großen Anzahl somalischer Geflüchteter wird Kisenyi auch "Little Mogadishu" genannt.
Für das Fotoprojekt haben die Protagonistinnen somalische Sprichwörter gesammelt und aufgeschrieben.
Neben ihrer Heimat haben viele somalische Frauen in Uganda auch gewisse kulturelle Autoritäten hinter sich gelassen.
Bilder zeigen oft Verwandte und Freunde, die im Herkunftsland zurückgeblieben sind. Handyfotos sind ein wichtiger Bestandteil der Erinnerungskultur innerhalb der somalischen Diaspora.
Seit vier Jahren hat Bishara ihren Freund, der mittlerweile in Deutschland lebt, nicht mehr gesehen. Über das Telefon halten sie ihre Beziehung aufrecht und hoffen auf eine gemeinsame Zukunft.

Für die portraitierten jungen Frauen wirkt das Leben im Exil eher wie eine Parallelwelt. Rund um die Uhr stehen sie mit ihren Familien, Freunden und Bekanntschaften auf der ganzen Welt in Kontakt.

Über Telefon, Internet und soziale Netzwerke, mithilfe von rotierenden Hochzeitsvideos und Klatsch halten sie ihre Beziehungen viel eher aufrecht, als durch ihr Alltagsleben vor Ort.

Im Alltag von Kisenyi treffen die Schatten der Vergangenheit in Somalia auf die Hoffnungen auf ein besseres Leben

Sie leben zwar in Uganda, könnten aber genauso gut anderswo auf der Welt sein. Die Frauen zelebrieren Freundschaft, weibliche Solidarität und bauen einander ein neues Zuhause fernab der eigentlichen Heimat auf. Oft geschieht dies in Abwesenheit von Männern, die entweder gestorben, geflohen oder in Somalia geblieben sind. Wie alle jungen Frauen in ihrem Alter träumen sie von der romantischen Liebe. Bieten sich aber ältere Kandidaten mit geregeltem Einkommen an, geben viele dennoch nach. Männer mit Aufenthaltstiteln außerhalb des afrikanischen Kontinents sind besonders beliebt.

Für Fatuma ist es bereits die zweite Hochzeit, ebenso für ihren zukünftigen Mann. In der somalischen Kultur hat die Ehe einen wichtigen Stellenwert.
Für somalische Flüchtlinge ist die Ehe vor allem ein möglicher Ausweg in eine bessere Zukunft. Ehepartner in westlichen Ländern sind besonders begehrt.
Um mit der Familie und Freunden in Kontakt zu bleiben, sind Internetcafés für die somalische Diaspora von großer sozialer Bedeutung.
Kisenyi, ein Viertel in Kampala, ist aufgrund seiner somalischen Bewohner, Kleidung und Traditionen auch als "Little Mogadishu" bekannt.
Mittlerweile hat sich hier eine somalische Subkultur entwickelt. Bei dem Shaash Saar treffen sich Frauen sieben Tage nach einer Hochzeit zu einer traditionellen Feier.

Das Exil bedeutet aber auch Härte, Stigma und alltägliche Anfeindungen. Es ist ein Gefühl im Jetzt nicht zugehörig zu sein und gleichzeitig von der Vergangenheit verfolgt zu werden.

Obwohl sie sich an alles klammern, was sie an Somalia erinnert, typische Lebensmittel, Kleidung und Traditionen etwa, hat die Exilerfahrung für die jungen Frauen insgesamt etwas Befreiendes. Durch die gegenwärtigen Umstände rücken strenge kulturelle Autoritäten eher in den Hintergrund. Auch überholte Praktiken wie die Genitalverstümmelung (FGM – Female Genital Mutilation) sind schwieriger durchzuführen in der fremden Umgebung. Das Leben fühlt sich insgesamt freier an.

Irgendwo, in dieser Parallelwelt aus somalischem Leben in Uganda und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft an einem weit entfernten Ort, entfaltet sich das eigentliche Leben.

Ayan und Abdullah haben geheiratet und leben in einem kleinen Zimmer in Kisenyi. Trotz finanzieller Schwierigkeiten erwarten sie ein Kind und versuchen optimistisch in die Zukunft zu blicken.
In Kampala arbeitet H. als Haushälterin nachdem ihr Mann und ihre Familie in Somalia ums Leben gekommen sind. "Ich habe mein Gefühl verloren. Gott kennt meine Zukunft."
Viele Somalier in Kisenyi hoffen auf eine bessere Zukunft in Europa oder den USA. Gemeinsam mit ihren zwei Geschwistern wartet dieses Mädchen darauf, zu ihrer Mutter nach Skandinavien umzusiedeln.

Anne Ackermann (*1980) hat Visuelle Kommunikation und Fotojournalismus in Hamburg, Buenos Aires und Aarhus studiert. Ihre Arbeiten wurden mit wichtigen Stipendien gefördert und renommierten Preisen ausgezeichnet, sie war beispielsweise auf der Shortlist des Hansel Mieth Preis 2015. Neben zahlreichen Veröffentlichungen in Magazinen und Zeitungen wurden ihre Projekte in internationalen Ausstellungen und Galerien gezeigt. „Behind Veils and Walls“ hat sie 2016 im Rahmen eines Stipendiums auf dem Photoreporter Festival in Saint-Brieuc, Frankreich exponiert. Anne lebt in Deutschland und arbeitet weltweit.

www.anneackermann.com