Landungsbrücken

Landungsbrücken

von Maria Feck

Ein Dreimonatsvisum für den Schengenraum und ein paar Hundert Euro: Viel mehr haben die 300 Geflüchteten aus Afrika nicht im Gepäck, als sie nach Hamburg kommen

Sie leben monatelang auf der Straße, viele von ihnen stranden in Notprogrammen. Darüber hinaus sehen deutsche Behörden wenig Anlass, humanitäre Hilfe zu leisten. Denn nach der Dublin-Verordnung ist Italien für die Flüchtlinge zuständig, also das europäische Land, das die Geflüchteten zuerst betreten haben. Erst als die Nordkirche sich bereit erklärt, die Menschen aufzunehmen, bekommt das Thema in der Öffentlichkeit und in der Landespolitik Brisanz.

»Das war eigentlich nur als Zwischenlösung gedacht«

Die Sankt-Pauli-Kirche am Pinnasberg nimmt rund 80 der Libyen-Flüchtlinge auf; sie bilden dort einen Mikrokosmos der Religionen und Kulturen. Muslime und Christen leben friedlich zusammen und kämpfen für dieselbe Sache: ein Bleiberecht in Deutschland. Es gibt viel Solidarität im Stadtteil, doch es mangelt an medizinischer Versorgung, Rechtssicherheit und an einer Perspektive. Im Juni 2014 haben die letzten refugees das Kirchengelände verlassen. Einige von ihnen sind vorerst in städtischen Einrichtungen untergekommen, sie haben die Duldung akzeptiert, eine Aussetzung der Abschiebung. Was bleibt, ist das Warten und Hoffen auf ein Bleiberecht.

Affou aus der Elfenbeinküste, einer der Sprecher der Lampedusa-Gruppe, diskutiert mit seinem Kollegen in der Hamburger Sankt-Pauli-Kirche
Gott sieht alles: Insgesamt 80 Geflüchtete kamen in der Kirche unter
Mubaraak aus Ghana beim Deutsch lernen
Und plötzlich erscheinen sie wie gute Geister: Die Herbergs-Väter von einst
Sieghard Wilm ist der Pastor der Gemeinde
emerge hat mit der Fotografin Maria Feck über die »Gruppe Lampedusa« gesprochen

Maria, wie bist du auf die Geflüchteten gestoßen?
Mir ist eine Ansammlung afrikanischer Immigranten aufgefallen, die sich am Hamburger Hauptbahnhof versammelten. Ich kannte die Flüchtlingsproblematik schon aus den Medien, jetzt fand sie direkt vor meiner Haustür statt. Das hat mich zu Recherchen angeregt und mich zur Sankt-Pauli-Kirche gebracht.

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Wie haben die Leute auf dich reagiert?
Ich musste mir für die Reportage sehr viel Zeit nehmen. Aufgrund der trauma-
tischen Erfahrungen, die die Flüchtlinge gemacht haben, musste ich das Vertrauen langsam aufbauen. Ich wollte nicht einfach nur schnell ein paar schöne Bilder machen. Die Flüchtlinge befanden sich ja in einem sehr belastenden Wartezustand. Sie wohnten zuvor entweder auf der Straße oder in Obdachlosenunterkünften. Die Sankt-Pauli-Kirche bot ihnen einen Platz zum Schlafen und einen Ort der Ruhe an, allerdings war das eigentlich nur als Zwischenlösung gedacht.

»Mein Glaube ist das Einzige, was ich noch besitze.« Zakaria aus Ghana

Wie war die Situation vor Ort?
Etwa 80 Männer lebten für fast ein Jahr auf engstem Raum, ohne Rückzugsmöglichkeit. Die Situation erforderte Geduld und Respekt. Es war für mich klar, dort mit ganz viel Rücksicht zu fotografieren. Die Kirche war gleichzeitig Aufenthaltsort und Schlafzimmer. Man war also an einem intimen Ort, manche Situationen fotografiert man da einfach nicht. Ich habe immer vorher gefragt, ob ich ein Foto machen darf, und es gelassen, wenn jemand Nein sagte. Manchmal habe ich auch einen Tag in der Kirche verbracht, ohne ein einziges Foto zu machen.

Welche Rolle hast du da übernommen?
Als die Polizeikontrollen in Hamburg intensiviert wurden, haben sich die Flüchtlinge nicht mehr auf die Straße getraut. Manche haben mich gebeten, mit der Kamera dabei zu sein, falls die Polizei übergriffig würde. Über die Zeit haben sich auch Freundschaften entwickelt. Ich halte immer noch Kontakt zu einigen.

Welche Erwartungen haben die Geflüchteten, wenn sie nach Europa kommen?
Die Flüchtlinge der Hamburger Lampedusa-Gruppe kommen aus unterschiedlichen, meist westafrikanischen Ländern wie Ghana, Mali, Togo, aber auch aus Niger und der Elfenbeinküste. Sie alle haben ursprünglich ihre Heimatländer verlassen, um in Libyen Arbeit zu finden, sie haben sich als Bauarbeiter oder Handwerker eine Existenz aufgebaut. Als 2011 in Libyen der Krieg ausbrach und die rassistischen Übergriffe zunahmen, wurden sie vertrieben. Sie flüchteten daraufhin mit Booten über das Mittelmeer und landeten in Lampedusa. Italien war überfordert, und die Flüchtlinge wurden indirekt aufgefordert, das Land zu verlassen. Sie strandeten mit einem Visum für den Schengenraum und ein paar hundert Euro in Hamburg. In ihren Herkunftsländern werden viele von ihnen verfolgt, und in Italien haben sie keine Perspektive, ein menschenwürdiges Leben zu führen.

Sie waren Emigranten wider Willen?
Die meisten Männer wollten nicht unbedingt nach Europa. Sie hatten vor dem Krieg in Libyen ein gutes Leben. Allerdings hätten sie von der EU einen menschenwürdigeren Umgang erwartet. Dass sie in Hamburg obdachlos auf der Straße leben mussten und Italien sie quasi aus dem Land schickte, sie anderenorts auch nicht willkommen waren – das hatten sie sich nicht vorgestellt. Sie haben sich gewünscht, in Deutschland endlich zur Ruhe zu kommen.

»Manchmal hat man das Gefühl, nirgends willkommen zu sein.«

Verfolgst du mit deinen Bildern konkrete politische Ziele?
Ich wollte die Auswirkungen der EU-Flüchtlingspolitik verdeutlichen. Eine Dokumentation über das lange Warten auf ein Bleiberecht, über das Hin- und Hergeschiebe der Zuständigkeiten zwischen einzelnen Ländern. Wir werden in Zukunft noch mehr mit dem Thema Zuwanderung nach Deutschland beziehungsweise in die Europäische Union zu tun haben. Die Haltung an sich muss sich ändern. EU-Länder wie Griechenland und Italien werden massiv mit Geflüchteten konfrontiert und sind oft überfordert. Sie werden mit der Problematik alleingelassen. Ich finde es auch erschreckend, zu sehen, wie viel Fremdenhass und Intoleranz in Deutschland immer wieder aufkommen. Deutschland ist längst ein Zuwanderungsland, und ich finde es ganz wichtig, für ein Klima der Toleranz und des Austauschs zu sorgen – wenn möglich auch mit meiner Fotografie.

Ibrahim, 24
Mubaraak, 27
Steven, 26

Was ist dir in dieser Zeit besonders aufgefallen?
Die Kirche war für mich ein Ort der Menschlichkeit. Es kamen so unterschiedliche Menschen zusammen, die sich gemeinsam für eine Sache eingesetzt haben und sich sonst vielleicht nie getroffen hätten. Ich fand es toll, zu sehen, wie Menschen verschiedener Religionen, Kulturen und Gesellschaftsschichten zusammen für eine Sache gekämpft haben. Es hat mich auch überrascht und gefreut, wie viele Menschen für die Flüchtlinge auf die Straße gegangen sind und protestierten.

Nach deinen Erfahrungen vor Ort: Findest du, dass das Problem in den Medien angemessen wiedergegeben wird?
Es gibt, nach dem, was ich gesehen habe, viele solidarische Berichte über Flüchtlinge. Auch wenn es grausam ist, finde ich es immer wieder wichtig, die Tragödien zu zeigen, die sich zum Beispiel vor Italiens Küsten abspielen. Ein bisschen paradox ist es aber, dass sich die Medien oft erst dann wieder auf das Thema stürzen, wenn viele Menschen umgekommen sind. Wenn man dann sieht, dass etwa Programme wie Mare Nostrum verschwinden, sehen die Tränen mancher Politiker und Bürger eher wie Krokodilstränen aus.

Der Mensch braucht Rituale: Am Sonntagvormittag herrscht wenigstens ein bisschen Normalität
Geflüchtete probieren gespendete Kleidung an
Der junge Mann sagt: „Diese Kette ist sehr wichtig für mich. Wenn mir etwas zustößt, kann ich damit identifiziert werden.“
Isoumaila aus Mali sieht sich mit deutschen Ordnungshütern konfrontiert
Ein Bewohner hängt seine Wäsche zum Trocknen im Kirchgarten auf

Wenn du dir was wünschen dürftest?
Dann wünsche ich mir, dass die Flüchtlinge selbst öfter Gehör finden. Die Gruppe Lampedusa in Hamburg hat es geschafft, eine große Öffentlichkeit zu erreichen, indem sie ihre Stimme erhoben hat. Auch wenn die Männer noch immer keine unbefristete Aufenthalts­erlaubnis besitzen, haben sie viel erreicht und ein wichtiges Zeichen gesetzt. Ich glaube, Medien haben immer noch einen großen Einfluss auf Meinungsbildung in der Gesellschaft und könnten häufiger ein Zeichen für mehr Toleranz setzen, indem sie stärker über gelungene Beispiele der Teilhabe und Fremdenfreundlichkeit berichten.

Wie sieht die Lage der Geflüchteten, die du fotografiert hast, heute aus?
Einige haben eine Duldung angenommen. Das bedeutet Residenzpflicht, vorerst keine Arbeitserlaubnis und die Unterbringung in Containerunterkünften. Inzwischen haben einige eine befristete Arbeitserlaubnis bekommen. Es ist jedoch nach wie vor schwierig, in kurzer Zeit eine Arbeit zu finden, weil die Erlaubnis manchmal nur zwei Monate gilt. Andere haben Angst vor einer Abschiebung, teilweise leben diese Flüchtlinge in Privatwohnungen oder wurden in den Räumen von Solidaritätsinitiativen aufgenommen. In Deutschland gibt es für sie kaum noch eine Chance auf einen legalen Aufenthalt. Ein richtiges Leben mit Perspektive können sich viele nicht aufbauen. Ihr Status ist nicht geklärt. Es bleibt eine Stimmung, die einer der Flüchtlinge so beschreibt: »Manchmal hat man das Gefühl, nirgends willkommen zu sein. Aus Libyen mussten wir fliehen, aus Italien hat man uns weggeschickt, und hier will man uns auch nicht haben.«

Maria Feck, Jahrgang 1981, studierte Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Fotografie in Hamburg, danach in Hannover Fotojournalismus und Dokumentarfotografie. Es folgte ein Abschluss in Advanced Visual Storytelling an der Danish School of Media and Journalism in Århus. Feck ist regelmäßig im Auftrag nationaler und internationaler Magazine unterwegs, für die sie neben Fotos auch Videos produziert.

www.mariafeck.de

Diese Story erschien erstmals in emerge 01 – Migration

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Format: 23,5 x 31cm
Seiten: 120
Abbildungen: 107
Sprache: Deutsch
Auflage: 1000
Erscheinungsdatum: 2015
Druckverfahren: Offset-Druck
Bindung: Fadenbindung
Papier: Luxoart Samt 135g/m²
ISSN: 2364-6713
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