Laszlo Randelzhofer & Marshl Ceron Palomino

Für alle reicht es nicht

Offiziell erreichen immer weniger Geflüchtete Europa, gleichzeitig steigt die Zahl an Pushbacks. Die humanitäre Situation an den EU-Außengrenzen ist alarmierend

Fotografie Laszlo Randelzhofer und Marshl Ceron Palomino

Text Alina Schnelle

Die Fotografen Laszlo Randelzhofer und Marshl Ceron Palomino haben in den vergangenen anderthalb Jahren eingehend mit den EU-Außengrenzen zu Land in Ost- und Südosteuropa auseinandergesetzt. Auf ihren Reisen haben sie die Umstände in den Grenzregionen kennengelernt und fotografisch dokumentiert. In persönlichen Begegnungen konnten sie individuelle Geschichten von Menschen auf beiden Seiten der Grenzen festhalten, die von den Folgen europäischer Asylpolitik unmittelbar betroffen sind. Die entstandene fotografische Arbeit beleuchtet die drastische Realität an den Landesgrenzen der Europäischen Union.

Blick von Bosnien über die Grenze nach Kroatien, Juni 2024
Provisorische Unterkunft mit selbstgebautem Ofen n einem leerstehenden Turm in Bihać. Bosnien und Herzegowina, Juni 2024

Europas Grenzen töten nicht – sie lassen sterben. Internationale Abkommen versprechen jedem Menschen Schutz, dennoch gehören systematische Gewalt und Unrecht gegenüber Geflüchteten zum Alltag an den Rändern Europas. Die Angst, Verzweiflung, aber auch Hoffnung der Schutzsuchenden treffen häufig auf scharfe Kontrollen und Zurückweisungen, die sie vielfach in erschütternden Umständen zurücklassen. Statt Unterstützung und Verständnis zu erfahren, werden Menschen der Hilfe unwürdig erklärt und abgelehnt. Nicht selten werden Schutzsuchende unter Anwendung von Gewalt aus den Grenzregionen vertrieben.

Trotz ihrer Rechtswidrigkeit gehören sogenannte Pushbacks zur Realität an den EU-Außengrenzen, nicht nur im Mittelmeer. An den Landgrenzen in Ost- und Südosteuropa gehen Pushbacks häufig einher mit Gewalt und der Konfiszierung oder Zerstörung von persönlichen Gegenständen. Die Überwachung wird mithilfe von Drohnen, Wärmebildkameras und mobilen Einheiten immer weiter verstärkt. Die schutzsuchende Menschen werden in Wäldern und an Zäunen zurückgedrängt in abgelegene Grenzregionen. Dieses Vorgehen bleiben nicht folgenlos: viele Menschen sterben auf ihren Fluchtwegen an den EU-Außengrenzen, oft infolge von Kälte, Gewalt oder Ertrinken.

N. aus Syrien wurde vom polnischen Militär in den Rücken geschossen, nachdem er die Grenze von Weißrussland aus überquerte. Im offiziellen Bericht steht, der Soldat stolperte bei einem Warnschuss. Byałistok, Polen, Januar 2024
Schild auf Arabisch und Englisch vor einem Friedhof in Subotica, auf dem sich anonyme Gräber von Migrant*innen befinden. Serbien, Juni 2024
Fawad auf dem Rückweg zum Familiencamp Borici. Bosnien und Herzegowina, Juni 2024

Es handelt sich um Schicksale, die in ihrer Vielzahl jedoch von einem System zeugen, das auf Abschottung und Abschreckung setzt. Für die meisten Menschen in der EU ist diese Gewalt kaum sichtbar, die Grenzen erscheinen weit weg – vom Wohnort, vom Alltag, vom eigenen Leben. In den entlegenen Regionen selbst erleben Anwohner*innen die Geschehnisse teilweise zwar hautnah. Sie sind jedoch oft machtlos, wirklich etwas zu verändern.

Persönliche Gegenstände von unidentifizierten, verstorbenen Migrant*innen.
Pavlos Pavlidis sammelt die Gegenstände zur Identifikation durch Angehörige.
Alle drei Bilder entstanden in Alexandroupolis, Griechenland, Januar 2024

Über die „Einzelfälle“ wird meist geschwiegen. Auch bei ganz konkreten Hinweisen auf das Leid von Schutzsuchenden handelt die Grenzpolizei häufig nicht, teilweise verweigert sie die Hilfe. Auch Politiker*innen der EU sowie ihrer Mitgliedsstaaten nehmen menschenunwürdige Bedingungen an den Grenzen in Kauf. Das Recht auf Schutz wird nicht ausnahmslos und beharrlich umgesetzt, das Asylrecht teilweise sogar verschärft. Ende 2023 wurde mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) beispielsweise eine haftähnliche Festhaltung von Geflüchteten an den Grenzstandorten bis zu zwölf Wochen beschlossen. Gleichzeitig sollen Asylverfahren beschleunigt werden, oft jedoch ohne ausreichende Zeit für eine angemessene Prüfung. NGOs warnen auch im Jahr 2025 vor deutlichen Verschärfungen des bisherigen Asylrechts und melden gravierende menschenrechtliche Bedenken an.

R. kam fünf Tage lang bei einem Imam unter, aber seine Erfrierungen verhinderten die Weiterreise. Eine Woche darauf war R. zurück im Marokko, um seine Verletzungen behandeln zu lassen. Sidiro, Griechenland, Januar 2025
Sumpfgebiet bei Białowieża in der Grenzregion zu Weißrussland. Polen, Januar 2024

Hinter politischen Diskussionen und Asylrecht-Reformen, den Statistiken, Daten und Zahlen über Migration, Zuwanderung und Asylbewerber*innen bleibt die Situation an den Rändern der Europäischen Union besorgniserregend. Der Tod vieler Menschen bleibt oft verborgen im Schatten der Grenzanlagen.

Plattgefahreres Sweatshirt auf der Straße zum Camp Lipa. Bosnien und Herzegowina, Juni 2024

Laszlo Randelzhofer (*1999 in Berlin) und Marshl Ceron Palomino (*1998 in Berlin) studierten bis 2024 bzw. 2023 Fotodesign am Lette Verein Berlin. Seitdem arbeiten sie als freischaffende Fotografen und Fotojournalisten sowohl einzeln als auch gemeinsam an Projekten und Produktionen.

Seit 2024 entwickeln sie gemeinsam ein fotografisches Langzeitprojekt, das sich mit der Externalisierung von Gewalt an Europas Außengrenzen beschäftigt. Zusammen mit der Autorin und Forscherin Judith Kohlenberger untersuchen sie, wie Natur strategisch als Waffe instrumentalisiert wird, um Migration tödlicher zu machen.